Wenn von der Medizintechnik-Branche oder von Medizinprodukten die Rede ist, herrscht oft im ersten Moment Unsicherheit. Was genau ist damit gemeint, wo im Gesundheitswesen wird Medizintechnik eingesetzt und wer stellt solche Produkte überhaupt her?
Inhaltsverzeichnis
Was ist Medizintechnik?
Medizintechnik kennt jeder – Beispiele aus dem Alltag
Rechtliche Definition Medizinprodukte
Sicherheit bei Medizinprodukten – gesetzliche Vorgaben
Aktuell: Medical Device Regulation in Europa
Was ist eine Benannte Stelle ?
Medizintechnik-Industrie: Eine Branche mit Perspektiven
Medizintechnik-Verbände in Deutschland
Medizintechnik-Unternehmen: Wer stellt Medizinprodukte her
Medizintechnik und ihre Zulieferer
Auf diesen Messen trifft sich die Medizintechnik
Medizintechnik – International
Medizintechnik-Jobs: Wie wird man Medizintechniker ?
Diese Aufgaben übernehmen Ingenieure in der Medizintechnik
Faszination Medizintechnik
Willkommen in der Medizintechnik-Branche
Was ist Medizintechnik ?
Für den Begriff Medizintechnik gibt es keine klare rechtliche oder ansonsten fassbare Definition. Umgangssprachlich wird er dennoch oft verwendet als Oberbegriff für all die Produkte, die wir im Zusammenhang mit unserer Gesundheit oder eben auch mit Erkrankungen verwenden. Sei es daheim im häuslichen Umfeld, bei der Pflege von Patienten, um unsere Gesundheit zu überwachen – oder eben auch im Umfeld von Krankenhaus und Arztpraxen. Medizintechnik kennt jeder – Beispiele aus dem Alltag
Anschaulich wird es, sobald Medizintechnik und Medizinprodukte anhand von Beispielen erläutert werden können.
Medizintechnik kennt jeder – Beispiele aus dem Alltag
- Schon mal in den Finger geschnitten und ein Pflaster verwendet?
- Schon mal den eigenen Blutdruck gemessen – oder die Körpertemperatur mit dem Fieberthermometer?
- Gehhilfen, eine Schiene fürs Bein, einen Rollator oder einen Rollstuhl benutzt?
An all diese Produkte stellen wir als Patienten Anforderungen: Sie sollen uns helfen, eine Wunde zu versorgen, Messwerte für den nächsten Arztbesuch liefern oder uns – zumindest vorübergehend – bei der Genesung helfen. Dafür müssen die Produkte sicher sein, sie müssen verlässlich funktionieren und dürfen uns darüber hinaus keinen Schaden zufügen.
Zur Medizintechnik zählen aber auch die Spritze, ein Katheter oder ein Insulin-Pen. Diese kommen dem Patienten schon viel näher, werden nicht nur am, sondern auch im Körper eingesetzt – bei Bedarf auch für lange Zeit: Implantate für den Kiefer, für Hüfte oder Knie gehören ebenfalls zu den Medizinprodukten. Auch das Anästhesiegerät, das bei einem chirurgischen Eingriff den Körper mit überwacht, das Skalpell, weitere Chirurgieinstrumente und der OP-Tisch bis hin zu Geräten wie einem Magnetresonanztomographen.
Ihnen allen müssen Ärzte, Pflegepersonal und Patienten vertrauen können.
Damit das Vertrauen gerechtfertigt ist, gibt es klare Vorgaben dafür, wie Medizinprodukte sein müssen und welche Aspekte bei der Entwicklung und Herstellung zu beachten sind. Das reicht vom Werkstoff über die Verarbeitung und Montage sowie die Qualitätskontrolle bis zur Sterilisation, zur Verpackung und zur Entsorgung oder Wiederaufbereitung. Überall gelten strenge Regeln.
Wie Medizinprodukte auf Aufbereitung und Sterilisation reagieren
Rechtliche Definition Medizinprodukte
Für welche Produkte diese Regeln im Einzelnen angewendet werden müssen, regelt die Definition der Medizinprodukte. Gemäß den Angaben des Bundesgesundheitsministeriums sind Medizinprodukte „Produkte mit medizinischer Zweckbestimmung, die vom Hersteller für die Anwendung beim Menschen bestimmt sind.“
(Quelle Definition Medizinprodukte: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/gesundheitswesen/medizinprodukte/definition-und-wirtschaftliche-bedeutung.html)
Dazu gehören laut Gesundheitsministerium die schon erwähnten
- Implantate und
- Produkte zur Injektion, Infusion, Transfusion und Dialyse,
- humanmedizinische Instrumente, aber auch
- Software,
- Katheter,
- Herzschrittmacher,
- Dentalprodukte,
- Verbandstoffe,
- Sehhilfen,
- Röntgengeräte,
- Kondome,
- ärztliche Instrumente,
- Labordiagnostika,
- Produkte zur Empfängnisregelung sowie
- In-vitro-Diagnostika.
Eine lange Liste also, was auch erklärt, dass es eine eigene Industriebranche mit sehr vielen spezialisierten Unternehmen gibt, die all diese Produkte herstellen. Und um den Unterschied zu Arzneimitteln noch deutlich zu machen, ist die Wirkungsweise wichtig. Ihre „bestimmungsgemäße Hauptwirkung“ erreichen Medizinprodukte primär auf physikalischem Weg. Arzneimittel hingegen wirken pharmakologisch, immunologisch oder beeinflussen den Stoffwechsel, in dem sie metabolisch wirken.
Sicherheit bei Medizinprodukten – gesetzliche Vorgaben
Wer also ein Medizinprodukt herstellt, muss viele Dinge beachten und nachweisen, dass er das tut, bevor er das Medizinprodukt verkaufen darf – „in Verkehr bringen“, wie es offiziell heißt. Die einzelnen Regelungen dazu weisen in verschiedenen Gegenden der Welt zwar kleine Unterschiede auf, aber immer geht es darum, durch gesetzliche Vorgaben die Sicherheit zu gewährleisten. Die Sicherheit der Patienten, die mit den Medizinprodukten in Kontakt kommen, aber auch die der Anwender der Medizinprodukte (den Radiologen oder seine Assistenten zum Beispiel, die nicht tagtäglich mit Strahlen belastet werden dürfen).
In Europa ist die für alle Medizinprodukte relevante Regelung die so genannte Medical Device Regulation, kurz MDR oder auch EU-MDR genannt. Die rechtlich korrekte Bezeichnung dieser europäischen Medizinprodukteverordnung lautet (EU) 2017/745 (Medical Device Regulation, MDR). Sie regelt seit dem 26. Mai 2021 europaweit einheitlich, wie Hersteller von Medizinprodukten vorzugehen haben und welche Übergangsfristen zu den bisherigen Gesetzen gelten.
Übergangsfristen für Zulassung von Medizinprodukten rechtskräftig verlängert
Das MPDG und die Vorgaben für die In-Vitro-Diagnostik
Für Deutschland ergänzt das Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) die unmittelbar geltende EU-Medizinprodukteverordnunge (MDR) um nationale Vorgaben. Sie legen fest, was beim Inverkehrbringen und bei der Inbetriebnahme von Medizinprodukten zu beachten ist.
Für im Gesundheitswesen eingesetzte so genannte In-Vitro-Diagnostik (IVD) gibt es eine eigenen EU-Verordnung, die (EU) 2017/746 (In-vitro Diagnostics Regulation, IVDR). Sie gilt zum Beispiel
- für Reagenzien,
- Nachweis-Kits,
- Probenbehälter oder
- Geräte, die im Labor eingesetzt werden, um gesundheitlich relevante Werte zu ermitteln.
Automatisierung im Labor liefert Ergebnisse für die Medizin der Zukunft
Aktuell: Medical Device Regulation in Europa
Gemäß EU-MDR darf ein Medizinprodukt auf dem europäischen Markt nur dann in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn es alle rechtlichen Vorgaben erfüllt. Das muss der Hersteller im Rahmen eines Konformitätsbewertungsverfahrens nachweisen und dokumentieren. Dann kann er sein Produkt mit einem CE-Kennzeichen versehen. Dieses ist das äußerlich sichtbare Kennzeichen dafür, dass das Produkt allen EU-Vorgaben entspricht.
Wie detailliert die Vorgaben sind, hängt auch davon ab, welcher Risikoklasse ein Medizinprodukt zugeordnet ist: ein Pflaster muss anderen Kriterien entsprechen als zum Beispiel ein implantierter Herzschrittmacher.
Die aktuell gültige EU-MDR sieht vier Risikoklassen vor. Der Klasse I zugeordnet sind Produkte mit geringem Risiko. Mittlere Risiken sieht der Gesetzgeber bei Produkten der Klassen IIa und IIb. In der höchsten Risikoklasse III befinden sich Herzkatheter, Stents und künstliche Gelenke – also Produkte, deren Anwendung mit großen Risiken verbunden ist für zum Beispiel das Herz, das zentrale Nervensystem oder das Kreislaufsystem.
Was ist eine Benannte Stelle?
Medizinprodukte mit geringem Risiko kommen nur mit der Konformitätsbewertung des Herstellers auf den Markt. Für Produkte mit größerem Risiko sind staatlich autorisierte Prüfstellen beteiligt, die so genannten „Benannten Stellen“. Sie prüfen und bewerten – nach einheitlichen Vorgaben – die Dokumente, die der Hersteller eines Medizinproduktes im Rahmen seiner Konformitätsbewertung erstellt hat.
Was ist eine Benannte Stelle oder ein Notified Body gemäß EU-MDR?
Wer als Benannte Stelle tätig sein darf und welche thematischen Schwerpunkte bearbeitet werden, legt die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) fest. Sie überwacht auch die Arbeit der Benannten Stellen.
https://medizin-und-technik.industrie.de/allgemein/wie-das-bfarm-medizinprodukte-ueberwacht-und-fuer-sicherheit-sorgt/
Medizintechnik-Industrie: Eine Branche mit Perspektiven
Ein sicheres Medizinprodukt nach den gesetzlichen Vorgaben auf den Markt zu bringen, ist also mit einer Menge Aufwand verbunden. Die Hersteller nehmen das auf sich und sind mit ihren Medizinprodukten in einer Branche mit Zukunftspotenzial tätig, die seit vielen Jahren Wachstum verzeichnet.
Trotz Umsatzplus: Medizintechnik-Branche leidet unter Krisenzeiten
Allerdings haben sich die jüngsten – regulatorischen, aber auch globalen Entwicklungen –auch auf die Medizintechnik ausgewirkt. So sehen nach Angaben des Berliner Branchenverbandes BVMed (Bundesverband Medizintechnologie) laut einer Umfrage aus dem Herbst 2022 „68 Prozent der befragten BVMed-Unternehmen die steigenden Kosten und gebundenen Ressourcen durch die MDR als großes Hindernis für ihre künftige Entwicklung an“.
Weitere Themen sind die „dramatischen Kostensteigerungen“ sowie der Fachkräftemangel und Unsicherheiten bei Zulieferern und Lieferketten.
Medizintechnik-Verbände in Deutschland und der Schweiz
Es gibt aktuell mehrere Verbände, in denen sich die Hersteller von Medizinprodukten in Deutschland organisieren. Dazu gehören zum Beispiel
- der Bundesverband Medizintechnologie BVMed in Berlin,
- der Industrieverband Spectaris mit seinen rund 400 Mitgliedern, unter denen auch die Branche Medizintechnik vertreten ist, sowie
- der Fachbereich Elektromedizinische Technik im ZVEI
Weitere Organisationen, in denen Medizintechnik-Unternehmen Unterstützung finden und zusammenarbeiten, sind
- die Cluster-Initiative Medical Mountains in Tuttlingen
- sowie das Forum Medtech Pharma, ein unabhängiges, interdisziplinäres Netzwerk für Innovationen in der Gesundheitsbranche,
- oder auch die Landesgesellschaft Bio-Pro Baden-Württemberg, die die Gesundheitsindustrie mit den Branchen Medizintechnik, Biotechnologie und Pharmazeutische Industrie unterstützt.
- In der Schweiz beispielsweise sind Medizinproduktehersteller und ihre Zulieferer im Rahmen von Swiss Medtech organisiert, der als Branchenverband der Schweizer Medizintechnik rund 700 Mitglieder zählt.
Medizintechnik-Unternehmen: Wer stellt Medizinprodukte her
Und wie bekannt sind nun die Unternehmen selbst, die Medizinprodukte herstellen? Wer die Aufgabe bekommt, große Arbeitgeber aus der Automobilbranche zu nennen, kann oft aus dem Stand eine Reihe von Namen nennen.
Bei der Medizintechnik fällt das den meisten schon schwerer – was sich vielleicht dadurch erklären lässt, dass die Vielfalt an Produkten, wie eingangs erwähnt, sehr groß ist. Ein weiterer Grund ist, dass die Branche zwar Großunternehmen aufweist wie Fresenius, Siemens Healthineers, Dräger, Paul Hartmann oder auch B. Braun, deren Namen einem geläufig sind. Darüber hinaus sind in der Medizintechnik aber auch eine große Zahl von kleineren Unternehmen bis hin zu Kleinstunternehmen aktiv, die in ihren Nischen technisch weit vorn sind.
Medizintechnik und ihre Zulieferer
Die Technik und das Ingenieurwissen spielen für die Medizintechnik natürlich eine entscheidende Rolle. Was wäre ein Großgerät ohne die Sensoren, die Antriebe, die Kunststoffverkleidung, die Steuerung, die Werkstoffe oder die Elektronik, die im Gerät verbaut sind? Was wäre ein Implantat ohne Werkzeuge und Bearbeitungszentrum, ohne die Automatisierung rundherum? Wie sollte sich Verbrauchsmaterial in großen Stückzahlen zu wettbewerbsfähigen Preisen montieren und verpacken lassen ohne die entsprechenden Anlagen?
Das Ingenieurwissen der Medizinprodukte-Hersteller ergänzen die zahlreichen Zulieferer, die ihre Produkte und ihr Know-how in der Medizintechnik-Branche beisteuern. Oft sind es Kooperation mit den Herstellern, die sich über viele Jahre erstrecken. Und auch die Zulieferer haben sich ihr Spezialwissen erworben und müssen zum Beispiel mit ihrer Qualitätssicherung und der entsprechenden Dokumentation ihren Teil zu sicheren Medizinprodukten beitragen.
Auch die Zulieferer organisieren sich, zum Beispiel in der
- im Jahr 2014 gegründeten Arbeitsgruppe Medizintechnik im VDMA, die sich als Plattform rund um produktionstechnische Fragen der Medizintechnik versteht und nach eigenen Angaben mit mehr als 300 Mitgliedern die Wertschöpfungskette abbildet, oder im
- Netzwerk für innovative Zulieferer in der Medizintechnik, kurz Nezumed, das 2010 startete und heute mehrere Dutzend Mitglieder zählt.
Auf diesen Messen trifft sich die Medtech-Branche
Für die Medizintechnik relevante Messen im deutschsprachigen Raum sind
- die Compamed, die im November parallel zur Medizin-Messe Medica in Düsseldorf stattfindet sowie
- die Medtec Live with T4M, die im ersten Halbjahr abwechselnd in Stuttgart und Nürnberg einen Treffpunkt bietet.
Wer wird Medizintechniker?
Wie aber wird man „Medizintechniker“? Es gibt eine Reihe von Studiengängen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die einen Einstieg in die Medizintechnik ermöglichen.
Aber auch Maschinenbauer, Elektroingenieure oder IT-Fachleute spezialisieren sich im Verlauf ihres Studiums – oder schwenken als Berufseinsteiger auf die Medizintechnik um.
Medizintechnik Studium: Reingeschnuppert und die Berufung gefunden
Weiterbildung führt zu Jobs in der Medizintechnik
Zum Medizintechniker kann man sich aber auch weiterbilden lassen. Voraussetzung für die Aufnahme in eine Fachschule oder Fachakademie sind nach Angaben der Agentur für Arbeit „in der Regel der Abschluss in einem einschlägigen anerkannten Ausbildungsberuf sowie Berufspraxis“.
Die berufliche Weiterbildung an Fachschulen und Fachakademien zum staatlich geprüften Techniker der Fachrichtung Medizintechnik ist landesrechtlich geregelt und dauert in Vollzeit zwei Jahre, in Teilzeit vier Jahre. Am Ende steht eine staatliche Abschlussprüfung.
Diese Aufgaben übernehmen Ingenieure in der Medizintechnik
So vielfältig wie die Medizinprodukte sind die Aufgaben, die Ingenieure und Techniker in der Medizintechnik-Branche übernehmen. Sie können in der Entwicklung tätig sein, bringen neue Technologien wie den 3D-Druck für Medizinprodukte voran.
Oder sie tragen mit ihrem Fachwissen im Bereich der Qualitätssicherung dazu bei, dass Medizinprodukte nachweislich sicher sind.
Faszination Medizintechnik
Und was macht die Branche so faszinierend? Die Arbeit im Dienst der menschlichen Gesundheit fasziniert viele Fachleute aus der Medizintechnik. Sie sagen, es sei ihnen wichtig, mit ihrem Beruf etwas Nützliches zu tun.
Welche Rolle Hightech und moderne Technologie dabei schon jetzt spielen, zeigen die folgenden Beispiele. Und sie geben einen Ausblick darauf, wohin die Reise geht. (op)
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